Soll ich wirklich an einem Volkslauf teilnehmen?

Soll ich wirklich an einem Volkslauf teilnehmen?

Ein Gastbeitrag von Antje Müller

Wie „F*** you, Mr. Cooper!“ innerhalb von 12 Minuten zu “Thank you, Mr.Cooper” wurde

Als Jugendliche bin ich gelaufen. Dann lange nicht mehr. Vor 10 Jahren hatte ich dann mal eine Phase, in der ich mich selber bis zu 60-minütigen Berg- (oder Hügel, schließlich wohne ich im Mittelgebirge, nicht in den Alpen) Lauf trainiert habe. Ich fand es toll, allein im Wald zu sein, mein eigenes gemütliches Tempo zu laufen, Wettkämpfe haben mich nicht interessiert. Und irgendwann ist mir das Laufen wieder abhanden gekommen. Aber die Erinnerung an die Fitness, an das Kopfdurchpusten und die Kraft haben mich nicht losgelassen. Ich arbeite im Homeoffice, komme also nicht zwangsläufig an die Luft. Und bei meiner Beratungsarbeit ist es für mich klar: Ziele setzten hilft. Vielleicht doch mal ein Volkslauf?

Auftakt Volkslauf – der erste Versuch…

Silvester 2015. Ich tu`s jetzt einfach: ich laufe beim Emmerthaler Silvesterlauf mit. Ein regionales Event, sieben Kilometer. Gelaufen? Naja. Ich wollte ja trainieren, aber der Alltag…und überhaupt, Volkslauf ist dich nicht mein Ding. Und doch: Komplett untrainiert stehe ich weit hinten im Starterfeld und frage mich, ob ich wahnsinnig bin. 7 km aus dem Stand. Um mich rum Gruppen, die sich freuen, dass es gleich losgeht, mit Vereins- oder Teamshirts. Lachen, die Musik wummert. Eine Bekannte von früher grüßt mich erstaunt: „Hey, du läufst? Klasse, viel Spaß!“ Wenn sie wüsste.

Völlig untrainiert – ich muss verrückt sein

Nochmal tief Luft holen. Noch kann ich einfach an die Seite gehen und mich nach Hause schleichen. …und dann stelle ich mir vor, wie ich die Berichte in der Zeitung lese und wie in den Jahren davor denke:  „Schade, hab wieder nicht den Hintern hochbekommen zu trainieren. Das hätte ich bestimmt auch gekonnt, wenn ich mich nur getraut hätte.“ Los, Antje, lauf einfach. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ich unterwegs aufgeben muss. Dann kann ich immer noch den Chip heimlich am Infostand abgeben und mich nach Hause schleichen. Weiß ja keiner, dass ich hier war. Und ich hab´s probiert. Die andere Fantasie: ich schleppe mich heldinnenhaft als letzte über die Ziellinie und werde vom Publikum bejubelt, weil ich auf dem Zahnfleisch durchgehalten habe. Also: ich kann nur etwas gewinnen, wenn ich jetzt einfach laufe.

Einfach Augen zu und durch

Startschuss. Ja, geht´s denn jetzt los? Ich will laufen. Ach so, ja klar, bei  fast 500 Startern dauert es natürlich, bis alle tatsächlich in den Laufschritt fallen können. Wusste ich nicht, ich bin ja schließlich noch nie bei einem Wettkampf mitgelaufen. So, jetzt. Ganz langsam, Antje, du willst durchhalten…

Schon kurze Zeit später ist viel Platz um mich. Wer auch nur ein bißchen im Training ist, läuft weiter vorne. Hinter mir noch einige Männer, die bestimmt schon beim ersten Silvesterlauf 1975 dabei waren. An Vieles entlang der Strecke erinnere ich mich nicht mehr, nur dass ich nach 3 Kilometern wusste: das wird jetzt ganz hart. Als ich definitiv nicht mehr konnte und nur das Ziel in sichtbarer Nähe mich gerettet hätte, tauchte die 5-km-Marke auf.

Ich kann nicht mehr!

Aufgeben? NEIN, ICH ZIEH DAS JETZT DURCH. Auf meine Art. Guckt keiner? Egal, ich geh jetzt ein Stück. …Nach ein paar Minuten verfalle ich wieder in einen gaaanz langsamen Trab. Nicht nachdenken! Den aufkommenden Schmerz in der Hüfte ignoriere ich,  schleppe mich an einer Gruppe vorbei, die mit Tröten und Getränken im Bollerwagen an der drittletzten Kurve stehen und mich lautstark anfeuert (endlich mal! Danke.), bedaure die Ordner, die nur noch für mich und die zwei Senioren hinter mir in der Kälte rumstehen müssen . Schließlich laufe ich mit tauben Beinen über die Ziellinie, ziemlich unbeobachtet, die meisten Läufer sind schon unter der Dusche oder beim wohlverdienten Kuchenstand.

War das jetzt der Beginn meiner Laufkarriere?

So war ja der Plan: ich beweise mir, dass ich es kann, genieße das geile Gefühl, es geschafft zu haben und trainiere fortan locker, regelmäßig und mit Freuden.

Ähh, nein. War es nicht. Ich habe 6 Wochen gebraucht, bis ich überhaupt wieder schmerzfrei gehen konnte.  Zum Arzt habe ich mich nicht getraut. Dann hätte ich ja zugeben müssen, was für einen Quatsch ich da gemacht habe. Zum Glück wurde es auch von alleine wieder gut.

Aber es lässt mich nicht los. Ich will laufen.

Herbst im Weserbergland. In der Zeitung steht wieder etwas über den Silvesterlauf. Ich könnte ja….aber diesmal trainiere ich. Hey, ich mach mir mal selber einen Plan. Schließlich ist es mein Job, Leute dabei zu unterstützen, ihr Verhalten in kleinen, machbaren Schritten zu verändern, nachdem sie möglichst genau ein Ziel festgelegt haben.

Also, hier mein Ziel: Ich laufe den Silvesterlauf durch

Ich laufe diesmal den Silvesterlauf durch, habe während der ganzen Strecke Spaß und kann auch am nächsten Tag mit lockeren Muskeln und Gelenken weiterlaufen. Ich starte mit 1 Minute laufen, 1 Minute gehen und steigere das ganz langsam. Zum Glück habe ich eins der schönsten Laufreviere direkt vor meiner Haustür. Einziges Manko: der Hausberg mit dem Wald drumrum liegt auf 250 Höhenmetern, mein Haus 100 m tiefer. Ich hasse Steigungen.

Training alleine – machbar, aber freudlos

4 Wochen später. Läuft mit dem Training. So einmal die Woche, manchmal zweimal. Aber so richtig Zug ist nicht drin. Wenn ich daran denke, dass ich schon in 10 Wochen 7km in der Ebene durchlaufen will, müsste ich meinen Trainingsplan noch mal ein bißchen verschärfen. Das mit dem Durchlaufen klappt noch gar nicht. Ich bin ein bißchen ratlos und unmotiviert. Also in Stress soll es ja nicht ausarten.

Antje Müller schreibt in ihrem Gastbeitrag, wie sie durch einen Onlinelaufkurs einen Volkslauf souverän meisterte. Sehr persönlich und inspirierend...

Online-Lauftrainingskurs – ob das klappt?

Moment mal: da war doch was online von einer Laufgruppe. Ich hatte schon immer mal im Ausdauerblog gestöbert. Die Artikel fand ich gut, aber ich bin doch keine Sportlerin. Der Torsten macht Ironman-Wettkämpfe, das ist doch überhaupt nicht meine Liga. Ein Betakurs: Vom Gelegenheitsjogger zum Fitnessläufer. Voraussetzung ist, eine halbe Stunde durchlaufen können. Und am Ende laufe ich 10 km. Okay, gebongt. Das Ziel ist ziemlich ehrgeizig, die Voraussetzungen erfülle ich nur fast und wenn ich nur 70% erreiche, reicht es für den Silvesterlauf. Und scheitern schreckt mich jetzt nicht mehr.

Trainingspläne und Gruppenfeeling

Sonntag morgens im Dezember. Seit 6 Wochen der Tag, an dem Torsten den Trainingsplan für die nächste Woche schickt. Ich öffne nichtsahnend Facebook und scrolle mich durch die Einträge in der Gruppe „Vom Gelegenheitsjogger zum Fitnessläufer“. Der neuste Post von einem Mitläufer, der eher zu den Leistungsstarken gehört, ist kurz und rätselhaft: „Cooper-Test – hmm.“

Ich ignoriere das erstmal. Schließlich habe ich gestern erst meine dritte Wochen-Einheit abgelaufen und kämpfe mit dem Frust, dass mir die Hüfte wehtut. Mit über 50 wieder mit dem Lauftraining anzufangen, nachdem ich fast 10 Jahre raus war, ist für mich manchmal schon Challenge genug. Ich lese lieber, wer von den anderen ca. 15 aktiven Mitläufer/innen was geschafft hat, schreibe Kommentare und freue mich über das Feedback auf meine letzten Posts. Ist echt eine tolle Stimmung hier, wertschätzende Leute mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Da ist das Schulterklopfen für den „Streber“ – mit Smiley darf man ihn so nennen- genauso wichtig wie die „Ja, bleib-dran“- Anfeuerungen für die Knieverletzte, die es schafft, 20 Minuten schmerzfrei zu Fuß zu gehen. Torstens Inputs greifen die Fragen auf, die während des Trainings entstehen. Zum Beispiel nach Pausen bei Erkältungen, sinnvollem Aufwärmen und Dehnen, die passenden Pausen…und immer wieder Technik-Einheiten.

Cooper-Test….spinnt der?

Nachmittags lese ich nach: 10 Minuten einlaufen und dann 12 Minuten lang so schnell laufen, wie ich kann. Panik, Trotz, Frust. Der spinnt wohl. Mein Post in der Gruppe: „Nein. Nicht mein Ding. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in die Liga nicht einsteigen will. Allein hätte ich jetzt wahrscheinlich alles abgebrochen. Das kann doch nicht Sinn der Sache sein, dass mir nach jedem Lauf irgendwas wehtut und ich Horror habe, überhaupt die nächste Einheit anzutreten.“

Erst fluchen, dann laufen

Ich hasse die Technik-Einheiten (hab ich das schon erwähnt?) und laufe erstmal weitere 5 Tage gar nicht. Am Freitag raffe ich mich schließlich auf und trabe ganz vorsichtig los. Wahrscheinlich nur eine kleine Runde zum gewöhnen. Unterwegs denke ich „F… you, Mr.Cooper.“ Ich mach das nicht mit dem „volle Pulle“. Du kannst mich mal. Gut, dass Torsten nicht hört, was ich denke.“ Laufen, atmen, Luft genießen. Das Bein fühlt sich gut an. Da vorne bei dem Baum könnte ich eigentlich mal ein bißchen schneller laufen. Nur ein bißchen – bis dahinten. Die Beine laufen wie von allein. Und mindestens 30 m weiter als geplant. Kurze Gehpause, nochmal das Ganze. Cooper, dir zeig ich´s.  Und nochmal. Ich höre ihn förmlich lachen, weil das was ich mache, doch was ganz anderes ist als der angekündigte Cooper-Test. Und ICH laufe mit einem breiten Grinsen nach Hause und danke ihm insgeheim, weil er mich so provoziert hat, dass ich mal wieder meine gefühlten Grenzen überschritten und so erweitert habe.

Fazit: den nächsten Silvesterlauf pack ich!

Ich kann mehr, als ich denke. Und die Sonntags-Trainingspläne sind dazu da, mich weiter nach vorne zu locken. Meine Laufgruppe, von der ich niemanden jemals persönlich getroffen habe, ist zum Motivieren, Mitjammern, Mich-wieder-aufrichten da. Fast Tag und Nacht. Ich weiß jetzt, dass ich den Silvesterlauf so richtig gut vorbereitet starte und dass ich ihn mit Spaß statt mit Angst antreten werde.

Ich habe gestern mal geschaut, ob es in Hameln eine Laufgruppe gibt, die für mich später ein Unterstützung vor Ort sein kann. Beim Lesen der Angebote darf ich mich nochmal freuen: „Von Null auf 5 km“-Gruppe. Hey, das kann ich schon. Aber das Angebot, das mich wirklich reizt? Nicht lachen: ich werd mal zur Technik-Trainings-Gruppe gehen. Nach Silvester. Nach dem Volkslauf.


Über die Autorin:

Antje Müller berät im Berufsleben Menschen dabei, ihre Ernährung dauerhaft und in machbaren Schritten umzustellen. Außerdem baut Sie gerade ihren neuen Blog auf antjemueller.de auf. Besuche auch ihre Facebook-Gruppe „Endlich entspannt essen“.

Wer täglich beruflich mit Motivation, realistischen Zielen und den Tücken des „Dranbleibens“ zu tun hat, sollte sich doch easy selber coachen können. Haha.

Bei ihrem wieder entdeckten Hobby Laufen hilft ihr das zwar, dranzubleiben, aber es tut so gut, sich in die Hände von jemandem zu begeben, der sich mit sowas auskennt. Seit 7 Wochen nimmt sie an Torstens Kurs „Vom Gelegenheitsjogger zum Fitnessläufer“ teil und weiß, dass sie es diesmal schafft.

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Jörg Baudach

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