Warum es so gut tut, sich körperlich zu verausgaben

Ein Gastbeitrag von Sarah Braun

“Sich selbst bis an seine persönlichen Grenzen zu verausgaben, ist die Essenz des Laufens und eine Metapher für das Leben überhaupt (und für mich auch für das Schreiben). Ich glaube, viele Läufer würden mir beipflichten.”

Dieses Zitat des japanischen Autors und Läufers Haruki Murakami spiegelt wider, was ich im folgenden Artikel genauer ausführen werde: die Frage, warum wir uns beim Sport freiwillig “quälen” und an unsere Grenzen gehen, und warum uns dies ein Gefühl der Befriedigung, ja sogar des Glücks beschert. Dabei werde ich zwar spezifisch auf meine Leidenschaft, den Laufsport eingehen, mich dem Thema “warum es so gut tut, sich körperlich zu verausgaben” aber ebenso ganz allgemein nähern.

Freiwilliges und unfreiwilliges Leid

Die Frage, warum es auf der Welt so viel Leid und Ungerechtigkeit gibt, beschäftigt mich immer und immer wieder. Ein interessantes Gespräch auf dem Jakobsweg vor zwei Jahren (zufälligerweise mit einem katholischen Pfarrer) half mir bei der Strukturierung des Themas und war für mich erkenntnisreicher als ein ganzes Buch, das ich zu diesem Thema gelesen hatte.

Mein Gesprächspartner teilte Leid die beiden folgenden Kategorien ein: unfreiwilliges Leid und freiwilliges Leid. Ersteres handelte er relativ schnell ab. Er sagte mir, er habe keine Antwort darauf, warum es dies gebe. Aber sein Rat lautete: Sei einfach trotzdem glücklich: “Das Leben ist einfach, sei glücklich und denk nicht zu viel nach”, lautete sein Kommentar hierzu. Da er diesen Rat auch lebte, war ich beeindruckt.

Nun aber zum freiwilligen Leiden, um das es in diesem Artikel ja auch zentral geht. Denn das tun wir Sportler uns ja auch regelmäßig an! Und warum? Was motiviert uns zu diesem freiwilligen Leiden?

Aus der Komfortzone heraus und völlig lebendig

In so ziemlich jedem Ratgeber für Unternehmer wird der Spruch gebracht, dass man aus seiner Komfortzone heraustreten müsse (out of the comfort zone). Ich finde die Formulierung mittlerweile schon fast etwas abgegriffen, aber dennoch aktuell: Das Argument ist, dass wir aus unserer Komfortzone heraustreten müssen, um etwas zu erleben und zu erreichen.

Anstrengung, in anderen Worten uns selbst zu überwinden und über unsere Grenzen hinauszugehen, lässt uns wachsen. Das erleben wir auch bei jedem Training. Und wachsen heißt auch, etwas zu lernen. In diesem Artikel geht es nicht um das Business (und dass wir scheitern müssen, um besser zu werden und etwas zu lernen … das steht auch in jedem Ratgeber für angehende Unternehmer), sondern wir lernen bei der kompletten körperlichen Verausgabung viel mehr etwas über uns selbst.

Wie sich das anfühlt, wie wir mit dem Schmerz umgehen, wie weit wir in einer bestimmten Situation gehen wollen und können etc. Das Austesten der eigenen Grenzen ist etwas sehr Spannendes, und das treibt uns auch an, dies zu tun. Beim Lauftraining oder bei einer Art des körperlichen Trainings finde ich, dass dieses Gefühl des “Lebendig-Seins” besonders deutlich wird. Wenn du draußen an der Natur bist und läufst, dann spürst du, dass du am Leben bist. Dies ist solch ein Kontrast zu der Art von Job, die viele von uns haben: drinnen vor dem Computer und auf einen Bildschirm starrend … und dies mehrere Stunden am Tag.

Und deshalb liebe ich das Laufen auch so sehr (genauer ausgeführt habe ich dies in meinen Blogartikeln “My running love story” und “Wie das Laufen zu meiner Lieblingsbeschäftigung wurde”).

Die These ist nun, dass die mit dem Gefühl des Lebendigseins verbundene Anstrengung nötig ist, damit wir das Gefühl zu haben, etwas erreicht zu haben. Wenn wir für etwas gekämpft haben, wenn etwas hart war, dann haben wir hinterher Grund, stolz auf das Erreichte zu sein. Wenn uns etwas zufällt, ist die Freude über das Ergebnis bei weitem nicht so groß und langanhaltend, wie wenn wir dafür geschwitzt, gelitten und gekämpft haben.

Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, das (freiwillige) Leid als Schlüssel zum Glück zu bezeichnen. Dies wäre auch eine Erklärung, warum es uns glücklich macht, uns körperlich anzustrengen. Und somit ist es auch, dass wir Sportler (die dieses Gefühl kennen), immer wieder die Herausforderung suchen.

Heftig, aber lohnenswert – währenddessen und danach: Sich verausgaben am Beispiel von Intervalltraining

Du kennst die Situation bestimmt auch: zu einem Lauf musst du dich öfter im Voraus selbst motivieren und aufraffen. Ich habe schon viele “Diskussionen” mit mir selbst ausgetragen an Tagen, an denen ich nicht so motiviert war. Das mit sich selbst diskutieren hilft aber leider nur wenig. Ich habe für mich herausgefunden, dass es besser ist, in solchen Situationen gar nicht erst nachzudenken, sondern am besten einfach den Kopf auszuschalten und zu machen. Laufklamotten an und los geht’s.

Die eben beschriebene Situation kann für einen ganz normalen Lauf gelten. Im Folgenden möchte ich aber etwas genauer auf ein bestimmtes Training eingehen, welches den Läufer besonders fordert: das Intervalltraining. Dabei geht es schlichtweg darum, dass man während bestimmten festgelegten Intervallen während des Trainings, also auch mehrfach nach kurzen Erholungspausen, an seine Grenzen geht. Ob es 10x400m sind, 8x1000m oder 10 Bergsprints, ist nebensächlich.

Zu solch einem Training muss ich mich immer besonders aufraffen. Das Wissen im Voraus, dass du alles geben und dich so richtig fertig machen musst während dieses Training, ruft bei mir im Voraus ein etwas mulmiges Gefühl hervor, auch wenn ich mich sonst körperlich gut und gewappnet fühle. Vor einem Intervalltraining versuche ich also immer, mich an das Gefühl hinterher zu erinnern. Denn ich weiß ja, dass ich dann stolz sein werde. Umso mehr, je mehr ich mich zum Training überwinden musste.

Auf die Einstellung kommt es an

Spannend finde ich aber auch die Entwicklung meiner Einstellung während des Trainings. Vor dem ersten Intervall überwiegt wie gesagt das flaue Gefühl im Magen und das Wissen, dass ich noch alles vor mir habe – es nun aber auch keinen Weg zurück gibt.

Nach dem ersten Intervall ist diese Tatsache aber mehr oder weniger akzeptiert und es geht einfach weiter. Eine Angewohnheit von mir ist das Kopfrechnen nebenbei, ich kalkuliere immer recht genau, wie viel ich schon geschafft habe. Bei zehn Intervallen sage ich mir “nach dem 3. hast du schon fast ⅓ geschafft”. Und die Stimmung geht von Intervall zu Intervall exponentiell aufwärts.

Und nach dem 4. dann “jetzt hast du es wirklich ⅓ geschafft, sogar schon viel mehr”. Und nach dem 5. Intervall kippt die Stimmung schon richtig. Denn dieser Stolz, bereits die Hälfte des fordernden Trainings absolviert zu haben, ist da. Und das gibt Zuversicht, dass die zweite Hälfte nun auch machbar ist, sogar wenn diese durch die zunehmende Erschöpfung noch härter wird.

Interessant finde ich auch, wie es mir im Laufe eines Trainings immer besser gelingt, mich auf den Moment, und nur darauf und sonst nichts, zu konzentrieren. Was während eines Intervalls zählt, ist so schnell wie es geht zu laufen, mehr nicht.

Das ist intensiv genug und fordert mental die volle Konzentration auf die nächsten Schritte und körperlich die Bereitschaft, an die eigene Leistungsgrenze zu gehen. Nach dem 8. und 9. Intervall kommt dann das Gefühl auf “jetzt ist es wirklich schon fast gewonnen”. Und sehr bald auch ganz.

Glücksgefühle inklusive

Die Glücksgefühle nach der bewältigten Anstrengung sind einfach grandios. Ich koste sie in der Regel aus, indem ich erst mal einige hundert Meter ganz gemütlich vor mich hin spaziere und gleichzeitig meinen erschöpften Körper und die Muskeln spüre, was sich gleichzeitig so gut anfühlt. Es ist das Wissen, etwas getan und geschafft zu haben.

Und an dieser Stelle komme ich wieder exakt auf das zurück, was ich oben erklärt habe. Wenn man sich durch etwas durchgebissen hat, das eine Herausforderung, dann hat man hinterher Grund, stolz auf sich zu sein und sich zu freuen. Und je intensiver in diesem Fall das Training war, desto größer sind die Glücksgefühle. Deshalb habe ich diesen Verlauf auch am Beispiel von Intervallen festgemacht.

Aber das gleiche gilt auch schon für einen normalen Dauerlauf: wenn wir uns dazu überwinden (und ein ganz klein wenig müssen wir das doch auch bei einem generell hohen Maß an Motivation, wenn wir ehrlich sind), dann ist das Gefühl nach dem Lauf schön. Ich liebe dieses wohlige Gefühl und diese innere Zufriedenheit, wenn ich dann frisch geduscht und gestärkt nach einem Training wieder am Schreibtisch sitze. Oder am Sonntag mit einem Buch auf dem Sofa liege.

“Sich selbst bin an seine persönlichen Grenzen zu verausgaben, ist die Essenz des Laufens und eine Metapher für das Leben überhaupt (und für mich auch für das Schreiben). Ich glaube, viele Läufer würden mir beipflichten.” (Haruki Murakami)

Wettkampf – Endorphine pur

Das Thema Wettkämpfe habe ich noch gar nicht angeschnitten. Hier gilt natürlich das gleiche Prinzip. Ein Wettkampf ist für mich dazu da, alles zu geben und an meine persönlichen Leistungsgrenzen zu gehen, wenn ich mich gut fühle. Das Schöne ist, dass das automatisch passiert während eines Laufes und ich mich anders als beim Intervalltraining nicht dafür motivieren muss. Durch die Wettkampfluft passiert das automatisch.  Und hinterher gibt es eben auch die bekannten Endorphinausschüttungen.

Aus dem Gespräch mit erfahrenen Läufern heraus und auch durch meine eigenen Erfahrungen kann ich bestätigen, dass je länger der Lauf war und je mehr man im Training gelitten hat, desto langanhaltender sind die Glücksgefühle nach einem absolvierten Training. Dies macht für mich auch den Reiz eines Marathontrainings aus. Und aus genau diesem Grund würde ich irgendwann mal gerne an einem Ultralauf teilnehmen.

Umrahmt wird das Ganze bei einer Laufveranstaltung meist noch von einer motivierenden Atmosphäre (Beifall von außen und das Miteinander mit anderen Läufern), das die Glücksgefühle noch verstärkt. Dominierend ist für mich immer dennoch dieses innere Gefühl, mich verausgabt zu haben, was einfach gut tut.

Zusammenfassung – warum es gut tu, sich körperlich zu verausgaben

Zusammenfassend würde ich Ausdauertraining allgemein als natürliche Form des freiwilligen Leidens des modernen Sportlers beschreiben. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, das Und es lohnt sich. Wie Murakami es ausdrückt, es geht hier um eine persönliche Sache, den eigenen Körper und die eigenen Grenzen. So sind der Zustand der völligen Verausgabung und das Gefühl des Lebendigseins nur bedingt beschreibbar. Aber in jedem Fall die Mühen wert und erlebenswert.

Über die Autorin:

Sarah Braun kaufte sich vor knapp zwei Jahren ein ehemaliges Bauern- und Pensionshaus in Igelsberg im Schwarzwald, wo sie nach umfassenden Renovierungsarbeiten im Juni 2017 offiziell die „Black Forest Lodge – eine Unterkunft für Sportler und Naturliebhaber“ eröffnen wird.

Die studierte Volkswirtin, die früher in der Finanzdienstleistungsbranche in der Schweiz gearbeitet hat, will ein möglichst unabhängiges, einfaches, aktives naturnahes Leben führen. Auch wenn sie sich für (zu) viele Dinge interessiert, ist das Laufen mit Abstand ihre Lieblingsbeschäftigung.

Über diese sowie ihr Projekt “Black Forest Lodge”, ihr Leben und ihre Gedanken schreibt Sarah regelmäßig auf ihrem Blog.

Blog | Facebook | Instagram

Verpasse nichts mehr...

Melde dich zum Newsletter an und du wirst einer von über 30.000 Sportlern der tollen Endlich-mehr-Sport-Community im Newsletter und auf den sozialen Netzwerken!

Du bekommst exklusive Inhalte, tolle Tipps, Updates zum Blog und einen Einblick hinter die Kulissen. 

Deine Einwilligung in den Versand meines Newsletters ist jederzeit widerruflich per Link oder an die im Impressum angegebenen Kontaktdaten möglich. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend meiner Datenschutzerklärung und dient nur zur Bewerbung eigener Produkte und Dienstleistungen, die unter www.ausdauerblog.de. beschrieben werden. Der Newsletter erscheint etwa alle 14 Tage.

Und das meinen die Leser:

Ich lese deinen Blog immer super gerne, weil ich mich selbst wieder erkenne und da viel für mich rausziehen kann an Tipps und Tricks. Manche Blogs langweilen mich schnell. Das ist hier absolut nicht der Fall. Dein Buch finde ich klasse, weil es mich motiviert hat den Hintern hochzuziehen von der Couch. Danke dafür !

profile-pic
Sabrina Schlickau

2 Gedanken zu „Warum es so gut tut, sich körperlich zu verausgaben“

  1. Guten Tag, liebe Frau Braun,
    ich habe in der Samstagsausgabe des Schwarzwälder Boten vom 22.04.2017 die Reportage über den „Tausch Ihres bzw. in Ihrem Leben“ gelesen und war davon sehr beeindruckt. Inbesondere von Ihrem Mut, von der Karriereleiter abzusteigen um, wie Sie schreiben, „ein einfaches, naturnahes, unabhängiges und aktives Leben zu führen.“ Und was Sie über das Laufen erzählen und wie man/frau im freiwilligen Leiden Glück empfinden kann. Ich selbst war früher auch aktiver Läufer und bin immerhin auch den Schwarzwald-Marathon in Bräunlingen (wo ich auch wohne) fünfmal gelaufen. Wegen Knieproblemen habe ich mich inzwischen mehr auf das Radfahren verlegt.
    Wenn ich es irgendwie einrichten, würde ich Sie und Ihre location am Tag der Offenen Tür am 10.Juni gerne besuchen. Und/0der nehmen Sie ja auch wieder am diesjährigen Marathon (zum 50j. Jubiläum) in Bräunlingen teil.
    Jedenfalls wünsche ich Ihnen bei Ihren beiden Vorhaben viel Erfolg!

    Lieben Gruß W. Rau

    Antworten
    • Lieber Herr Rau,
      vielen Dank für Ihren netten Kommentar, über den ich mich sehr freue und der mich wirklich motiviert.
      Es würde mich zudem sehr freuen, wenn Sie am Tag der offenen Tür bei mir vorbeischauen.
      Den Halbmarathon (oder vielleicht sogar den Marathon) in Bräunlingen dieses Jahr würde ich sehr gerne laufen und das Datum habe ich mir auch bereits abgespeichert. Allerdings muss ich sehen, ob ich es schaffe, das Training während des Sommers unterzubringen und ob es dann auch terminlich klappt im Oktober… der Betrieb in meiner Lodge geht vor… Aber wenn es irgendwie geht, dann trainiere ich darauf. Ich melde mich, wenn ich definitiv am Start bin.
      Viele Grüsse nach Bräunlingen und vielleicht bis bald mal irgendwo im Schwarzwald,
      Sarah Braun

      Antworten

Schreibe einen Kommentar